Automobilbau in Pasing

Wie Pasinger Genies ihre Stadt mobil machten

Im Pasinger Archiv, Ausgabe 2002, erzählen wir auf 35 Seiten die Geschichte des Automobilbaus in Pasing. Wir berichten nicht nur von den Pasinger Autofabriken, sondern wir versetzen den Leser zurück in eine wirtschaftlich schwere Zeit, in welcher findige Tüftler große Erfolge erzielten. Dazu lassen wir ihn teilhaben an vielen Geschichterln rund um das Automobil in Pasing. Viele Bilder runden den Bericht ab.

Erhältlich ist das Pasinger Archiv 2002 im Buchhandel (ISBN 3-9803442-9-0, ISBN neu 978-3-9803442-9-6) oder direkt beim

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(Preis siehe "Veröffentlichungen des Pasinger Archiv")

Nachfolgend finden Sie einen Auszug aus diesem Bericht:

Autowerk Schuricht München - Pasing

Am 29. Januar 1886 erhielt Karl Benz für seinen dreirädrigen Patentmotorwagen das Deutsche Reichspatent Nr. 37435. Dies war die Geburtsurkunde des ersten Automobils der Welt. Am 8. März 1886 bestellte Gottlieb Daimler in Stuttgart eine Kutsche und rüstete sie mit einem schnelllaufenden Motor aus. Damit baute er das erste vierrädrige Automobil. Das älteste Automobilunternehmen, dessen Name um die Welt ging, ist die Daimler-Benz AG. Es entstand im Jahre 1926 durch den Zusammenschluss der Daimler-Motoren-Gesellschaft, gegründet 1890 von Gottlieb Daimler, und der Benz & Cie, Rheinische Gasmotorenfabrik, gegründet 1883 von Karl Benz. Die beiden Erfinder des Automobils hatten in ihren Werkstätten bereits Kleinserien gefertigt, aber der große Erfolg kam erst nach der Fusionierung der beiden Pioniere.

Bereits fünf Jahre vor der Gründung von Daimler-Benz gab es einen Tüftler, der in Pasing eine kleine Autofabrikation betrieb: Ingenieur Walter Schuricht. „Ich habe meinen Großvater nie gesehen, aber er war ein ganz ungewöhnlicher Typ“, dies sagt Rudy Schild, der heute in Amerika lebende Enkel dieses genialen Erfinders aus Pasing. Walter Schuricht absolvierte in München ein Ingenieursstudium (ca. 1904/1905). 1905, im Jahre der Erhebung Pasings zur Stadt, heiratete Schuricht seine Frau Elisabeth, eine geborene Pressprich aus Plauen. Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs im Jahre 1914 hatte Schuricht eine Anstellung als Entwicklungs- und Testingenieur bei den Neckarsulm-Motorradwerken, der späteren NSU. (1969 vereinigte sich die Auto-Union AG mit der NSU Motorenwerke AG zur Audi NSU Auto Union AG mit Sitz in Neckarsulm.) NSU gehörte zu jener Zeit bereits zu den bedeutenden Fahrzeugunternehmen. Der bekannte Rennfahrer Rudolf Caracciola (1901 - 1959) absolvierte 1922 mit einem NSU-Motorrad seine erste Zuverlässigkeitsfahrt.

Schuricht beschäftigte sich nicht nur mit der Konstruktion von Fahrzeugen und Motoren, sondern zu seinen Aufgaben gehörte auch der Maschinenbau. Mit der Entwicklung von Fertigungseinrichtungen für die Fabrik konnte er seine Fähigkeiten weiter ausbauen. Nach dem Ersten Weltkrieg, zu welchem Walter Schuricht eingezogen wurde, beschäftigte er sich mit dem Umbau von Militär-Lkws in zivile Lastwagen. Als sich die Wirtschaft nach dem Ersten Weltkrieg langsam erholte, ließ auch die Nachfrage nach diesen alten Lkw nach. Das Geschäft von Walter Schuricht ging zurück und er musste sich nach einem neuen Betätigungsfeld umsehen.

Dies war für Schuricht die Gelegenheit, sich einen Kindheitstraum zu erfüllen: die Herstellung eigener Schuricht-Wagen. Der junge Ingenieur gab seine bisherige Arbeit auf und kehrte zurück nach Pasing. Er kratzte sein ganzes Vermögen zusammen und errichtete 1921 ganz am westlichen Rande Pasings an der Bodenseestraße stadtauswärts auf der rechten Seite, kurz vor der Bahnunterführung, seine kleine Fabrik. Im vorderen Teil des Grundstücks befand sich Schurichts Wohnhaus, im rückwärtigen Teil lag die Fabrikationshalle.

Walter Schuricht beabsichtigte, ein solides und gleichzeitig preisgünstiges Automobil für das Nachkriegsdeutschland zu bauen. Sein Ziel war es, eine breite Schicht der Bevölkerung zu erreichen, die ein Fahrzeug nicht nur benötigen, sondern sich den Kauf eines Automobils auch leisten konnte. Aber genau dies war der schwierige Punkt. Die Gründung der Schuricht-Autofabrik fiel in die Zeit extremster Inflation in Deutschland infolge des Ersten Weltkriegs sowie der hohen Reparationszahlungen an die Siegermächte gemäß dem Versailler Vertrag. Nicht nur die Pasinger mussten als Erstes morgens ihre Einkäufe besorgen, weil schon abends der Preis der Waren um einige Nullen angestiegen war. Der Kurs der Mark stürzte ins Bodenlose. Der Lohn zerrann den Arbeitern bereits auf dem Zahlteller. Die Notenpresse der Reichsdruckerei lief Tag und Nacht und während die Milliardenscheine noch gedruckt wurden, waren sie schon wertlos. Die noch druckfeuchten Zahlen auf den Scheinen wurden durchgestrichen und durch Millionenwerte ersetzt. Papiergeld wurde bald wie heißes Feuer gemieden und man zahlte nur noch in Sachwerten: Zigaretten, Broten, Unterhosen oder mit Kinobillets. Am 15. November 1923 stand die Notenpresse still. Die Reichsregierung gab unter Reichskanzler Gustav Stresemann schließlich die Rentenmark aus. Eine Rentenmark entsprach einer Billion alter Mark. Die zuvor geschätzten Schwarzhändler waren über Nacht zu höchst fragwürdigen Gestalten geworden und langsam stabilisierte sich die Wirtschaft.

Aber ganz so weit sind wir noch nicht, denn wir schreiben erst das Jahr 1921. Schuricht hatte die ersten Fahrzeuge an der Bodenseestraße, der damaligen Landsberger Straße 70, fertiggestellt. Einen „Schuricht“ konnte man in verschiedenen Versionen erhalten: als offenen Wagen mit vier Sitzplätzen in Form eines Cabriolets, als schnittigen Einsitzer-Sportwagen oder als geschlossene Pullman-Limousine. Alle hatten eine sehr lange Motorhaube, welche links und rechts geöffnet werden konnte. Am breiten, im Autobau jahrzehntelang obligatorischen Trittbrett, war das große Ersatzrad montiert. Die „Schuricht - Wagen“ hatten keine Speichenräder, sondern waren mit Vollscheibenrädern ausgestattet. Der Wagen wurde über ein Dreigang-Sodengetriebe mit Kulissenschaltung in der Wagenmitte geschaltet und besaß einen Rückwärtsgang – bei Kleinwagen damals keine Selbstverständlichkeit. Der Aufbau, der im eigenen Hause gefertigt wurde, bestand aus stahlverkleidetem Sperrholz, welches nach Kundenwunsch lackiert wurde. Der „Schuricht“ war außerordentlich solide gebaut und aufwändig gestaltet. Zur Standardausrüstung gehörten nicht nur eine Wagenuhr, ein Geschwindigkeitsmesser, ein Ersatzrad und eine Hupe, sondern auch ein umfangreiches Sortiment an Ersatzteilen.

Links und rechts vom hohen, stehenden Kühlergrill prangten zwei großformatige Scheinwerfer, welche man als Karbidlampen oder auf Sonderwunsch auch durch einen Dynamo elektrisch betrieben erwerben konnte. Am Fahrzeug war eine Art Tank angebracht, in welchen unten die Karbidsteine gefüllt wurden. (Karbidfabriken gibt es noch heute, z.B. im ungarischen Tatabanya oder im schweizerischen Meiringen). Aus einem darüber liegenden Tank tropfte Wasser auf die Steine. Aus dieser Verbindung entwickelte sich Azetylengas. Dieses Gas wurde über eine Leitung zur Lampe geleitet und dort an einer Düse verbrannt. Azetylen verbrennt an der Luft mit sehr heißer und greller Flamme.

Was ein „Schuricht“ gekostet hat? Walter Schuricht wollte ja ein preiswertes Auto bauen, aber einen richtigen Preis gab es nie. Gekostet hat ein „Schuricht“ jeden Tag etwas anderes, und das lag an der Inflation. Die Leute hatten gleich am Morgen das ganze Geld ausgegeben, das sie tags zuvor sauer verdient hatten, denn abends war es ja nichts mehr wert. Wer einen „Schuricht“ kaufen wollte, musste sich von der Fabrik eine Zuteilung geben lassen. Zu zahlen war der darin genannte Preis, welcher jedoch nur höchstens eine Woche Gültigkeit hatte, oder der jeweilige Tagespreis. Unter diesen Umständen gab es nicht viele Kunden, welche sich einen „Schuricht“ leisten konnten. Die Pasinger Autofabrik lief daher nicht besonders gut.

Wie dem Archiv von Alexander Franc Storz zu entnehmen ist, hat sich Schuricht für den Vertrieb seines Autos einen Partner gesucht. Zumindest in einem Fall verlief die Abwicklung jedoch unbefriedigend: Der königlich spanische Konsul beschwerte sich am 14.12.1922 bei der Industrie- und Handelskammer. Verschiedene Firmen in Spanien hätten „Schuricht“-Bestellungen gemacht und teilweise bereits Geldbeträge eingesandt. Sie erhielten jedoch keine Antwort des Schuricht-Exportvertreters Friedrich Petzold. Briefe seien als unzustellbar zurückgekommen. Mit Schreiben vom 30.12.1922 antwortete Schuricht: „Wir wissen nur von Anzahlungen auf drei Autos aus Spanien, die auch entsprechend (d.h. zum Bau) verwendet wurden. Darüber hinaus konnte Petzold auf Anfrage nichts Näheres sagen.“ Schuricht empfahl der IHK sich weiter zu erkundigen. Petzold betreibe nämlich neben der Schuricht-Exportvertretung noch weitere Firmen. Vielleicht arbeite er in diesen Branchen unzuverlässig.

Vor dem Ersten Weltkrieg besaß Walter Schuricht sogar einen eigenen Rennwagen. Er hatte eine stromlinienförmige Karosse, vorn etwas breiter und hinten schnittig zulaufend. Der Fahrer saß im offenen Einsitzer hinter einer schützenden Scheibe und konnte sogar bei Regen ein faltbares Dach hochklappen. Schuricht nahm selbst an einigen Automobilrennen teil, wie beispielsweise im Jahre 1923 am Solitude-Rennen. Schurichts Rennwagen hatte das polizeiliche Kennzeichen „II B 2856“, wobei „II B“ für München stand. (I A stand zum Vergleich für die Hauptstadt Berlin. Die Fahrer dieser Rennwagen, welche an internationalen Wettfahrten teilnahmen, bemalten ihre Autos mit speziellen Farben: die Italiener rot, die Franzosen blau, die Engländer grün und die Deutschen silberfarben. Für den Pasinger Walter Schuricht galt diese Regel nicht, denn die Stadt Pasing gehörte ja zu Bayern und so entschied er sich für ein weiß-blaues Rautenmuster, mit welchem er sein Fahrzeug von vorn bis hinten bemalte. „Eigentlich war der Schuricht aus Pasing der Vorgänger von BMW“, schmunzelt Rudy Schild, der Enkel von Walter Schuricht. Er denkt dabei an die Rautenfarbe Weiß-Blau, die sich ja auch heute noch im BMW-Logo findet. Das erste BMW-Motorrad, die legendäre R32, wurde erst 1923 gebaut und das erste BMW-Automobil, der bekannte BMW Dixi, lief erst 1929 vom Band. (Im BMW-Werk München wurden ursprünglich nur Motorräder produziert. Autos entstanden im Werk Eisenach. Erst ab 1951 begann in München mit dem legendären BMW V8 die Pkw-Produktion.)

Ingenieur Walter Schuricht machte sich auch verdient in der Aus- und Weiterbildung. Er verfasste vier Bücher, welche die praktische Handhabung von Kraftfahrzeugen und das „Erlernen der Fähigkeiten zum Führen von Automobilen“ behandelten: „Das Motorrad und seine Behandlung“, „Die Prüfung des Kraftradführers“, „Die Prüfung des Kraftwagenführers“ und „Lexicon des Kraftradfahrers“ waren die Titel. Die Bücher erschienen in den Jahren 1907–1926 in verschiedenen Auflagen im Berliner Verlag Carl Schmidt & Co. Zwei Exemplare befinden sich in der Privatsammlung des Kenners und Sammlers Franz Scherer in Aubing. Zwei weitere noch erhaltene Ausgaben dieser Bücher, welche mit vier humoristischen Zeichnungen illustriert waren, finden sich in Privatbesitz in Amerika.

Im 13. Kapitel seines Buches „Das Motorrad und seine Behandlung“ schreibt Walter Schuricht: „Was ist eigentlich Benzin? Es ist eine eigentümliche Tatsache, dass mindestens 75 % aller derjenigen, welche zum Betriebe ihres Motorfahrzeuges Benzin benutzen, über diesen Betriebsstoff noch völlig im unklaren sind. Es dürfte deshalb eine Antwort auf die Frage nicht uninteressant sein.“ Es folgen zwei Seiten umfangreicher Erklärungen und Erläuterungen chemischer Zusammensetzungen. Auf den ersten Blick schmunzeln wir über diese Frage. Aber ehrlich – wissen Sie eine genaue Antwort darauf?

Walter Schuricht gründete und führte außerdem die „Süddeutsche Chauffeurschule“. Hier wurden junge Männer (für Frauen war das Führen von Kraftwagen noch „unschicklich“) zu Kraftwagenfahrern ausgebildet. Sie erlernten dort nicht nur das reine Fahren, sondern auch den gesamten Umgang mit dem Fahrzeug und den Fahrgästen. Dazu gehörten auch Lektionen in Technik, Gesetzeskunde sowie praktische Übungen. Die Schule befand sich ebenfalls in Pasing in den Räumen seiner Autofabrik.

Ingenieur Walter Schuricht war ein Mensch, der mit seinem Erfindungsgeist mitten im Leben stand. Auf der anderen Seite stand er seiner Umwelt auch kritisch gegenüber und wollte sich von der Allgemeinheit unterscheiden. „Wenn alle Schiffe auf dem See weiße Segel hatten, dann war sein Segel als einziges rot“, pflegte Schurichts Ehefrau gerne zu sagen.

Trotz des Tatendrangs von Walter Schuricht lief seine Autofabrik in Pasing nicht gut. Schuld daran war nicht etwa das „Schuricht-Automobil“, schlechte Verarbeitung, ein falsches Produkt oder gar mangelnder Bedarf an Automobilen. Schuld an der Misere war einzig und allein die ungünstige Zeit. Man konnte es sich einfach nicht leisten, in den Jahren der ungeheuren Inflationszeit ein Auto zu kaufen. So war Walter Schuricht gezwungen, bereits im Jahre 1923 seine solide Autofabrik an der Bodenseestraße aufzugeben. Man kann heute nur darüber spekulieren, was wohl aus dem verdienten Automobil-Ingenieur aus Pasing geworden wäre, hätte er in der Zeit des Wirtschaftswunders gelebt.

Walter Schuricht verstarb Mitte der 20er-Jahre. Elisabeth, seine Witwe, lebte noch in den 70er-Jahren bei ausgezeichneter Gesundheit bei ihren Enkeln in Chicago. Das Interesse an Automobilen scheint bei den Schurichts Familientradition geblieben zu sein. Enkel Rudy Schild besitzt neben anderen Fahrzeugen einen Morgan (Baujahr 1960) und einen Mercedes-Benz 300 SL (Baujahr 1955). Rudys ältester Bruder machte ein Wettrennen mit einer Corvette in den USA, sein jüngster Bruder restauriert Oldtimer, so z.B. zwei Auburn (Bj. 1930 und 1932) sowie einen Maxwell (Bj. 1917). Alle fünf Enkel Schurichts wurden Ingenieure, mit Ausnahme von Rudy, denn er wurde Astronom.

Das Schuricht-Produktion wurde von der Firma BAW fortgeführt. Was daraus wurde lesen Sie in der ungekürzten Version dieses Artikels im Pasinger Archiv, Ausgabe 2002.  

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